Land-Grabbing in Äthiopien: Hungern für den Export

derStandard | 16 September 2011
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Landgrabbing, also die großflächige Landnahme durch andere Staaten oder Konzerne, stellt für die äthiopische Bevölkerung eine große Bedrohung dar.

by Julia Schilly

Nyikaw Ochalla will ein Bild zu Recht rücken: Die aktuelle Hungersnot in Ostafrika sei nicht allein durch die verheerenden Naturkatastrophen der jüngsten Vergangenheit verursacht. Auch "Land-Grabbing", also die großflächige Vergabe von Land an ausländische Investoren, sei mit Ursache. So hat die äthiopische Regierung finanzträchtigen InvestorInnen in der Gambella-Region 1,1 Millionen Hektar angeboten. Das betrifft fast ein Viertel des fruchtbaren Agrarlands des Gebiets. Ochalla stammt aus dieser Region, als Aktivist setzt er sich für die "Anuak Survival Organisation" ein und kritisiert den mangelhaften Zugang zu Anbauland für breite Bevölkerungsschichten.

In Äthiopien gibt es keinen privaten Landbesitz. Die Regierung erhofft sich von der Verpachtung riesiger Flächen an ausländische Staaten und Konzerne einen Modernisierungsschub für die Landwirtschaft. Genutzt werden die Flächen zum Anbau von Grundnahrungsmitteln und Energiepflanzen oder rein als Geldanlage. Allein ein einziger indischer Konzern pachtet zum Beispiel 300.000 Hektar Land, berichtet der Ochalla. "Die Details dieser Pachtverträge werden von der Regierung geheim gehalten. Was durchdringt ist, dass sie manchmal sogar für 99 Jahre gültig sind", berichtet er.

Armut trotz Wachstum

Im vergangenen Jahrzehnt konnte Äthiopien ein hohes ökonomisches Wachstum von durchschnittlich elf Prozent pro Jahr verzeichnen. Damit hat das Land zwar eine der höchsten Wachstumsraten am Kontinent, ist aber dennoch das zwölftärmste Land der Welt.

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Nyikaw Ochalla arbeitet für die "Anuak Survival Organisation" und setzt sich gegen das Verpachten des Landes an fremde Staaten und Konzerne ein.

Aufgrund der verheerenden Dürre sind derzeit rund 4,5 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfslieferungen angewiesen. Durch diese Abhängigkeit vom Weltmarkt stiegen innerhalb von zwei Jahren die Ausgaben der afrikanischen Länder allein für Getreideimporte um 130 Prozent, informiert Südwind. Laut Food and Agriculture Organization oft he United Nations (FAO) leben derzeit 79 Millionen Menschen in Äthiopien, rund 44 Prozent von ihnen leiden an Unterernährung.

Kein Arbeitsplatzsegen durch fremden Anbau

"Die äthiopische Regierung behauptet, dass durch die Landvergabe Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung geschaffen werden und der technische Fortschritt weiter getrieben werden kann", sagt Ochalla. In Wahrheit könnten die Unternehmen aber oft gar nicht genug Jobs schaffen, die zudem meist saisonal sind, sagt er. "Manchmal bringen Investoren, zum Beispiel aus Indien, sogar ihre eigenen Arbeitskräfte mit", berichtet der Äthiopier weiter.

"In Äthiopien gibt es kein Ödland"

Im Zuge des Agrartreibstoffbooms wurden einige Studien veröffentlicht, die manche Landstriche als "ungenutzt" klassifizierten. Ochalla stellt deren Wissenschaftlichkeit in Frage: "Die Realität sieht so aus, dass es kein Ödland in Äthiopien gibt." Das gelte auch für den Westen des Landes, wo Menschen traditionell jagen, fischen, Früchte sammeln oder Hirten sind. Viele der Flächen sind Lebensgrundlage der ländlichen und indigenen Bevölkerung, zum Beispiel der Anuak.

Die Argumentation, dass es sich um Brachland handelt, das niemandem gehöre, findet Ochalla unsinnig: "Die Regierung beraubt die lokale Bevölkerung ihrer traditionellen Lebensweise. Viele Generationen werden hier gefährdet." Auch heilige Plätze, wo Religionsausübung stattfand, wurden einfach zerstört.

Verpachtetes Land, importierte Nahrungsmittel

Seit 2008 wurden mehr Flächen als je zuvor an afrikanischem, südamerikanischem und asiatischem Land verpachtet, berichtet die Menschenrechtsorganisation FIAN. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch den Anstieg der Lebensmittelpreise am Weltmarkt. Ein Weltbank-Report von 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass alleine im Jahr 2009 weltweit 45 Millionen Hektar Land verpachtet wurden. Zwischen 1998 und 2008 waren es rund vier Millionen pro Jahr.

In Äthiopien spielt auch der Export von Schnittblumen zu den europäischen Märkten eine wichtige Rolle bei der Ausdehnung dieser Art von Industrie. Vor zehn Jahren brachte dieser Sektor gerade einmal 300.000 US-Dollar an Devisen ein, fünf Jahre später waren es bereits 104 Millionen US-Dollar. Für 2011 werden 200 Millionen US-Dollar erwartet, berichtet Südwind. Die Schnittblumen würden vorwiegend nach Holland, Deutschland, Großbritannien, Skandinavien, Russland, Japan und in den Mittleren Osten importiert werden.

Schaffung eines Verhaltenskodex

Auf Initiative Japans wollen die G8 zusammen mit der Weltbank diese Landdeals "konstruktiv begleiten". Dieser Verhaltenskodex (Principles for Responsible Agricultural Investment, RAI) soll auf freiwilliger Basis stattfinden. "Es gäbe bereits Gesetze, die eingesetzt werden sollten, um diese Entwicklung zu stoppen. Das passiert im Moment nicht." Er zählt die Punkte auf, die seiner Meinung nach sofort umgesetzt werden sollten, um die Entwicklung einzubremsen: "Landleasing und bereits laufende Pachtverträge mit fremden Ländern sollten gestoppt werden."

Doch die Weltbank steuert gerade in eine andere Richtung: Sie hat die Gelder für das Agrobusiness von drei auf vier Milliarden US-Dollar aufgestockt, wie Südwind informiert. Dabei wurde die Förderung dieses Bereichs schon in den letzten fünf Jahren versiebenfacht, wie die Financial Times in ihrer Ausgabe vom 2. August 2009 berichtete. Die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Produktion einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft, scheint damit in weite Ferne gerückt. Ochalla appelliert: "Land ist ein Grundrecht der Menschen. Es wegzugeben, entzieht den Menschen ihre Lebensgrundlage." (Julia Schilly, derStandard.at, 15. September 2011)

Wissen

Äthiopien wird zu den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) gezählt und lag 2010 auf Rang 157 von 169 erfassten Ländern im Human Development Index (HDI), dem Wohlstandsindex des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung liegt bei 42 Jahren. Die größte Gruppe armer Bevölkerungsschichten im Land sind KleinbäuerInnen. Die meisten ländlichen Haushalte verfügen über ein tägliches Einkommen von weniger als 0,50 US-Dollar.

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