Sierra Leone: Macht ADDAX nur leere Versprechen?

EED | 13.12.2010

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Iris Liethmann

(Bonn/Sierra Leone, 13.12.2010) 220 Millionen Euro investiert die Schweizer Firma ADDAX Bioenergy in Sierra Leone. Mit diesem Geld wird Zuckerrohr angebaut - für Agrosprit in Europa. Dafür hat ADDAX 50.000 Hektar Land im Norden des Landes gepachtet. Zunächst für fünfzig Jahre, eine Verlängerung um weitere zwanzig Jahre steht in Aussicht. Doch was ist dran an den Versprechen des Schweizer Konzerns? Mitglieder des „Bündnisses für das Recht auf Nahrung“ und vom Christenrat in Sierra Leone haben recherchiert.

Sierra Leones Präsident Ernest Bai Koroma zeigte sich optimistisch bei der Vertragsunterzeichnung. Es sei ein guter Tag für die Regierung und die Menschen im Norden des Landes. Er pries das Investment als größtes landwirtschaftliches Projekt in der Geschichte von Sierra Leone. ADDAX solle künftig Arbeitgeber Nummer Eins werden, dies seien Investitionen in die Zukunft und Entwicklung des Landes.
Sierra Leone hat Entwicklung bitter nötig. Nach wie vor belegt es im Welthunger-Index einen der letzten Plätze: Rang 79 von 84. Arbeitslosigkeit und Inflation sind nach wie vor hoch. Das Land hat die höchste Kindersterblichkeit auf der Welt, die ärztliche Versorgung ist mangelhaft und die Analphabetenrate liegt bei etwa siebzig Prozent. Zwei Drittel der  Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Die Erwartungen an den Investor sind groß, zumal wenn er viertausend Arbeitsplätze und eine bessere Zukunft verspricht. Erste Rechercheergebenisse von Bündnis und Christenrat sind folgend zusammengestellt.
 
Aufbruch in eine bessere Zukunft?
Die gut ausgebaute Landstraße in den Norden von Sierra Leone markiert Aufbruch. Weg von den Schotterpisten, weg von den Kriegsereignissen hin zu einer neuen, vielleicht sogar besseren Zeit. Aber profitieren die Menschen in den Dörfern rechts und links der Hauptstraße davon?
Lungi Acer ist ein kleines Dorf am Rand der Hauptstraße: 450 Menschen leben hier: Lehmhütten. Kein Strom, kein fließend Wasser. Lediglich ein Raum dient als Schule. Ein Lehrer unterrichtet die Grundschüler. Eine weiterführende Schule gibt es wegen Geldmangels nicht. Die Menschen hier hatten sich viel von ADDAX versprochen. „Als Präsident Koroma mit dem Helikopter herkam hat er ein Krankenhaus, Elektrizität und moderne Häuser versprochen. Nichts davon ist eingetroffen. Wir sind bei Null“, klagt ein Dorfbewohner.
Seit zwei Jahren züchtet ADDAX in der Nähe des Dorfes Zuckerrohr. Seit zwei Jahren hoffen die Dorfbewohner auf Entwicklung. „Seit zwei Jahren passiert nichts“, sagt einer resigniert. Doch sollten sich nicht die Lebensbedingungen der Menschen verbessern? Das zumindest besagt der Vertrag zwischen ADDAX und der Regierung. Auch die Entwicklung der Infrastruktur steht ganz oben auf der Vertrags-Agenda. Nur davon haben die Bewohner von Lunghi Acer bisher nichts gemerkt. Ihre Beschwerden über das mangelnde Engagement von ADDAX blieben bisher ungehört.
 
Neue Arbeitsplätze?
Bis zu 4.000 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden, die Dorfbewohner
sollen an Trainingskursen teilnehmen. Doch Papier ist geduldig. Von 450 Menschen im Dorf arbeiten bislang nur 30 für ADDAX, 3.930 Arbeitsplätze sind noch zu schaffen. Die Leute sind wütend, fühlen sich betrogen.

Beispiel Sicherheitpersonal
„ADDAX hätte unsere Leute zum Wachpersonal ausbilden sollen, nicht die von Außerhalb“, sagt ein Mann mittleren Alters zornig. „Außerhalb“ ist für den Mann Makeni, die Stadt rund 20 Kilometer vom Dorf entfernt. Dort wird das benötigte Wachpersonal ausgebildet. Im Dorf gingen die Bewohner leer aus.

Beispiel Fahrer
Wieder regt sich Unmut. Wieder haben sich Erwartungen nicht erfüllt. Händeringend habe ADDAX Fahrer gesucht. Warum nur drei Dorfbewohner eingestellt wurden, wollten wir wissen. Sie seien nicht qualifiziert gewesen. Während einer der Älteren die Worte zynisch zwischen seine Lippen raus presst, zücken fünf junge Männer gleichzeitig ihre Führerscheine aus der Tasche. Seht her, wir lassen uns nicht für dumm verkaufen, wollen sie damit demonstrieren. „Wo bleiben die versprochenen Trainingseinheiten für Elektriker, Klempner  oder Schmiede?“ Bisher haben die Menschen keine Antworten auf ihre Fragen bekommen. Entsprechend groß ist der Unmut.

Mehr Arbeitssicherheit?
Einige der jungen Frauen, die auf den ADDAX Feldern Unkraut jäten, sind verzweifelt, weil sie keine Arbeitshandschuhe bekommen. Eine streckt uns ihren Arm entgegen. Der Schlangenbiss ist noch zu sehen. Eine andere junge Frau entblößt ebenfalls ihren Unterarm. Auch hier Schlangenbisse, außerdem ist der Arm von Insektenstichen übersät. Handschuhe wollten sie, um sich zu schützen. Aber Handschuhe bekommen nur die Schmiede. Die Frauen sind enttäuscht. „Ich kann nichts positives über ADDAX sagen, ich habe bisher nur negative Erfahrungen gemacht“, beschwert sich  eine von ihnen.

ADDAX setzt Bewohner unter Druck
ADDAX braucht dringend gute Publicity. Die Firma steht unter Druck. „Sie fürchten, um den Verlust von Geldgebern, wenn immer mehr Stimmen gegen das Projekt laut werden“, sagt Lansaha Sowa vom Bündnis auf Recht für Nahrung. Sieben europäische Entwicklungs-banken sollen laut ADDAX ihr Projekt bisher unterstützen. Da passen Dorfbewohner, die Journalisten und anderen Mitgliedern von Hilfsorganisationen, ihr Leid klagen nicht ins Bild. So wurden die Bewohner vor kurzem nachts um 1.30 Uhr aus dem Schlaf gerissen, um eine Petition zu unterschreiben, dass ihre Aussagen gegenüber einem deutschen Journalisten falsch waren. „Wir haben nichts zurückgenommen“, sagt einer wütend.

Frust und Enttäuschung dominieren
Auch im nahe gelegenen Dorf Yainkasa dominiert der Frust über ADDAX. „Als der Präsident zu uns in den Norden kam, hat er versprochen, uns von der Armut zu befreien und Nahrungssicherheit garantiert“, sagt Ali Bangura, Sprecher der Landbesitzer. Hat er deshalb den Vertrag mit ADDAX unterzeichnet? „Wir wollten Entwicklung. Jetzt bereue ich es, sie machen nur falsche Versprechen“, fährt er fort.

Falsche Versprechen?
ADDAX hat Nahrungssicherheit versprochen. Die Menschen haben sich darauf verlassen. Ihre Felder hergegeben. Und jetzt? Sie wissen nicht, ob die von ADDAX zugewiesenen Felder den gleichen Ertrag bringen. Auch das versprochene Saatgut kam zu spät. Im Mai beginnt die Pflanz-Zeit, im Juli kam das Saatgut. Auch auf den versprochenen Dünger warten sie noch heute. Jetzt geht die Angst um, dass sie zu wenig zum Essen haben. Auch die Preise für Reis und Cassava seien gestiegen, beschweren sich die Bewohner. „Als wir noch auf den Feldern gearbeitet haben, hatten wir keine Angst vor Hunger. Jetzt ist das anders“, sagt Ali Bangura.

Geringer Verdienst
20.000 Leones – umgerechnet vier Euro am Tag – hat ADDAX versprochen. Jetzt zahlt ADDAX 10.000 Leones am Tag. Unterm Strich bleibt kaum was übrig: Den Transport zu den sieben bis elf Kilometer entfernten Feldern müssen sie zahlen, Frühstück und Mittagessen ebenfalls. „Da bleibt kaum was für die Kinder übrig, weil wir das meiste fürs Essen ausgeben“, sagt ein junger Familienvater. Versprochen waren Transport zur Arbeit und freies Mittagessen. Das gibt es aber nicht. Auch hier macht ADDAX Druck. Die Menschen sollen in Interviews sagen, sie bekämen freie Mahlzeiten. Falls nicht: droht ADDAX ihnen mit Entlassung.

Vier Wochen Arbeit, drei Wochen Lohn
Hinzu kommt ein undurchsichtiges Entlohnungssystem. Drei Wochen arbeiten, zwei Wochen Lohn. Vier Wochen arbeiten, drei Wochen Lohn. Keiner der Anwesenden weiß warum. Ob sie mit ihrem Rechtsanwalt gesprochen hätten, fragen wir. Höhnisches Gelächter. Den Anwalt, der von ADDAX beauftragt und bezahlt wurde, um die Interessen der Dorfbewohner zu vertreten, kennt niemand hier im Dorf. Auch in Sachen Ausbildung Fehlanzeige. Bisher arbeiten die meisten als Gelegenheitsarbeiter. „Wenn ADDAX uns wirklich helfen will, sollten sie die Ausbildung der Dorfbewohner voranbringen“, sagt einer der jüngeren Dorfbewohner.

Kleine Fluchten
Eine junge Frau in Yainkasa begegnet ADDAX auf ihre ganz eigene Art und Weise. Sie hat gesehen, wie ungerecht die Dorfbewohner behandelt werden. Da hat sie kurzerhand entschieden, auf dem ihr verblieben Land, weiter Landwirtschaft zu betreiben. Nebenbei verkauft sie Holzkohle in Freetown. Mit den Aktivitäten von ADDAX ist sie ganz und gar nicht einverstanden. Wenn es nach ihr ginge, sollten sie lieber in die Landwirtschaft investieren, statt in Zuckerrohr. Sie sieht die Folgen von ADDAX. Die jungen Leute hoffen auf ADDAX und vernachlässigen die Feldarbeit. Sie ist zufrieden mit dem was sie tut. Außerdem glaubt sie fest daran, dass sie immer mehr Nachahmer finden wird.
 
Die Ungeduld wächst

Insgesamt ist der Frust in den Dörfern groß, riesengroß. Wenn ADDAX seine Versprechen nicht einhält, können sie hier nicht mehr arbeiten, so der Tenor der Dorfbewohner. Doch wohin führen Eskalationen? Was passiert, wenn kein Dialog mit den Betroffenen geführt wird?
Zwei Stunden Autofahrt von Makeni nach Kemedugu - immer geradeaus auf einer staubigen Schotterpiste. Dort liegt das Gebiet von African Minerals, einer der derzeit größten Arbeitgeber in Sierra Leone. Ein Blick auf die Webseite: „Sierra Leone – eine besondere Beziehung“. Seit 2003 ist African Minerals einer der großen Investoren im Land. Auch sie versprechen Entwicklung, Arbeitsplätze, bessere Infrastruktur. Trotzdem kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. 500 Menschen leben in Kemedugu. Doch bei unserem Besuch wirkt das Dorf wie ausgestorben. Nur gut ein Dutzend  Bewohner versammeln sich auf dem Dorfplatz. An einigen Häusern weisen Einschusslöcher auf die jüngste Auseinandersetzung hin.
 Auslöser für den Protest sollen Aktivitäten des Unternehmens gewesen sein, die Befragungen über den anstehenden Dammbau machen wollten. „Wenn sie den Damm bauen, verlieren wir Wasser für unsere Felder. Wir haben Angst, dass wir keinen Reis mehr anbauen können“, sagt ein Dorfbewohner. Nach Polizeiangaben sollen Jugendliche Arbeiter von African Minerals angegriffen und einen Bagger in Brand gesetzt haben. Das hatte ein massives polizeiliches Nachspiel. Polizisten stürmten den Ort, verwüsteten die Häuser. Über achtzig Menschen wurden verhaftet. Unzählige verletzt, einige schwer. Die Mehrzahl der
Bewohner suchte Schutz in den nahe gelegenen Wäldern. Diejenigen, die aus dem Wald zurück sind, haben Angst vor weiteren Angriffen. African Minerals hat bisher jede Stellungnahme zu den Vorfällen gegenüber einem Mitarbeiter des Bündnis Recht auf Nahrung verweigert.
 
Die Investoren werden geschützt, aber wer schützt die Menschen?
Auch wenn der Hintergrund anders gelagert ist, dennoch gibt es einige Parallelen zum „ADDAX-Fall“. Auch hier liegt ein Vertrag zwischen African Minerals und der Regierung vor. Auch hier hat das Unternehmen nach Angaben der Dorfbewohner jeden Dialog verweigert. Sie haben unzählige Male versucht, mit der Firma zu reden, sie wollten einen Kompromiss aushandeln, wollten Kompensation für das genutzte Land. Reden wollte keiner. Stattdessen haben sie massive Polizeigewalt erlebt. Wer Geld erhalten hat, weiß Chief Musa Turay nicht. Die Menschen wollten verhandeln, bevor ihr Land von African Minerals bearbeitet wurde. Als sie African Minerals von der Arbeit auf ihrem Land stoppen wollten, kam es zu den blutigen Auseinandersetzungen. Auch wenn African Minerals auf ihrer Webseite mit Infrastruktur-maßnahmen werben, in Kemedugu ist nichts davon zu sehen. „Wir haben Angst, dass unser Land African Minerals zum Opfer fällt und wir keine Entschädigung bekommen“, sagt  Musa Turay verbittert. Die Menschen haben Angst um ihre Existenz. Ein Dialog könnte helfen – in Kemedugu und auch bei ADDAX.

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