FOCUS Online | Montag, 30.07.2012
„Wie in Europa im Mittelalter“
Dabei kommen nicht nur indigene Völker wie die Luo im Yala-Sumpf oder die lokale kleinbäuerliche Bevölkerung unter die Räder. Auch das nach Art der Allmende gemeinsam genutzte Land geht verloren – ebenso wie zahlreiche noch intakte Ökosysteme: Feuchtgebiete werden trocken gelegt, Wälder kahlgeschlagen und Savannen in Agrarwüsten verwandelt. Die neuen Grundherren zäunen ihre Gebiete ein und verwehren den ursprünglichen Besitzern den Zugang. Dies, schreibt Pearce, sei das „Äquivalent des 21. Jahrhunderts zur Einhegung des Gemeindelands in Europa, die im Mittelalter begann“.
Die in der Landmatrix-Studie erfassten Verträge konzentrierten sich auf die ärmsten Länder mit schwachen Institutionen und Landrechten, in denen viele Menschen hungern. Dort treten die Investoren mit den lokalen Bauern in Konkurrenz. Auch das von Befürwortern der Landnahme gern vorgebrachte Argument, es gehe zumeist um Brachland, das urbar gemacht werden soll, wird widerlegt. Denn die Investoren bevorzugen gut erschlossene und kultivierte Flächen, die hohe Ertragssteigerungen versprechen. Die Versorgung der örtlichen Bevölkerung verbessern sie dagegen nicht. Bevorzugt bauen die fremden Agrarkonzerne sogenannte flex crops an, also Pflanzen wie Ölpalmen, Soja und Zuckerrohr , die je nach Marktlage flexibel als Biosprit oder Lebensmittel verkauft werden können.
Die meisten Projekte sind auf Export ausgerichtet
Überdies fanden die Autoren kaum Fälle, in denen die Landinvestitionen Arbeitsplätze schufen, vielmehr seien die meisten Projekte auf den Export ausgerichtet. Die britische Hilfsorganisation Oxfam bestätigt, dass viele der Landübernahmen Flächen betreffen, auf denen Nahrungsmittel für die örtliche Bevölkerung angebaut wurden. Weil die Rechte der ansässigen Kleinbauern meist schwach und wenig gebildet sind, können sie sich gegen die Wegnahme des von ihnen genutzten Landes kaum wehren. Regierungsvertreter verkaufen oder verpachten es, oft ohne eine Entschädigung zu zahlen.
Laut Landmatrix sind zehn deutsche Investoren bekannt, die vor allem in Afrika Land erwerben. Die Unternehmen wollen Energiepflanzen, Kaffee, Getreide oder Nutzholz anbauen. Auch in Mittel- und Osteuropa ist die Landnahme ein einträgliches Geschäft. Allerdings liegen dort viele landwirtschaftliche Flächen brach, und die Bodenpreise sind relativ niedrig. Betroffen sind die Ukraine, Rumänien, Litauen und Bulgarien, aber auch Ostdeutschland. Als Investoren treten vor allem Fonds und Agrarfirmen aus Westeuropa sowie den arabischen Golfstaaten in Erscheinung.
Die Ärmsten der Armen trifft es
Als regelrechte Bonanza gilt heute die vier Millionen Quadratkilometer große Guinea-Savanne, ein riesiges Busch- und Grasland, das sich in zwei Gürteln quer durch Afrika erstreckt. Die Weltbank nannte die „die weltgrößte Reserve an unternutztem Land“. Zu ihrer Nutzung nennt die Weltbank die Umwandlung der brasilianischen Cerrados in hoch technisierte Soja-, Mais oder Baumwoll-Monokulturen als Modell, die sich oft bis zum Horizont erstrecken. Allerdings leben in dem Gebiet knapp 500 Millionen Menschen, überwiegend Kleinbauern und Hirten. Sie zählen zu den Ärmsten der Welt.
Nun sollte man meinen, die Regierungen der betroffenen Staaten seien in der Pflicht, ihre Bevölkerung vor solchen Enteignungen zu schützen. Weit gefehlt: Oft unterstützen sie den Landraub. Gewiss ist häufig Korruption im Spiel. Doch in vielen Ländern wurde der Agrarsektor in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Jetzt sehen die Politiker die ausländischen Investitionen als ein gutes Mittel zur Entwicklung der heimischen Landwirtschaft an.
Massive Menschenrechtsverletzungen
Aus diesem Grund, berichtet Buchautor Pearce, sprach der bettelarme Südsudan bereits vor Erlangung der Unabhängigkeit im Juli 2011 ein Zehntel seiner Landfläche Ausländern zu. In Äthiopien kam der Inder Sai Ramakrishna Karuturi zum Zug, der das weltweit größte Rosenzucht-Unternehmen betreibt. Für eine Pacht von unter einem Dollar pro Hektar darf er in der Gambella-Region 100 000 Hektar fruchtbaren Landes nutzen, von dem die äthiopischen Behörden tausende zuvor dort lebender Menschen vertrieb und in neu gebauten Dörfern ansiedelte. In dem Bericht „Waiting Here for Death: Forced Displacement and ‘Villagization’ in Ethiopia’s Gambella Region” (Warten auf den Tod: Erzwungene Umsiedlung und „Verdörflichung“ in Äthiopiens Gambella-Region) klagte im Januar 2012 die Organisation „Human Rights Watch“ die Regierung des Landes unter Premierminister Meles Zenawi massiver Menschenrechtsverletzungen an.
Die drei Hauptursachen für modernen Landraub
Landraub ist meist zugleich auch Wasserraub. Die internationale Hilfsorganisation Grain verdeutlicht dies am Beispiel der notorischen Gambela-Region in Äthiopien. Dort lebt am Alwero-Fluss das Volk der Anuak. Die Leute leben vom Fischfang und sind Kleinbauern oder Hirten. Ihr friedliches Leben endete, als der saudische Milliardär Mohammed al-Amoudi eine Plantage anlegte und mit Wasser aus dem Alwero bewässerte. Dies erschwerte den Zugang der Einheimischen, deren Leben von dem Nass abhängt, zum Wasser. Im April dieses Jahres kam es deshalb zu Zusammenstößen. Eine bewaffnete Gruppe überfiel die Plantage, am Ende gab es fünf Tote.
Der neuzeitliche Landraub, erklärt Experte Pearce, hat hauptsächlich drei Ursachen: Durch die bereits erwähnte Lebensmittelkrise von 2008, die auf katastrophale Missernten beruhten, verdreifachten sich am Weltmarkt die Lebensmittelpreise, und einige Exportländer hielten ihre Agrarprodukte zur Versorgung der eigenen Bevölkerung zurück. In manchen Importländern führte dies zu Panikreaktionen. Insbesondere Südkorea, Saudi-Arabien und China begannen in großem Stil mit dem Kauf von Land in anderen Staaten, um ihre Versorgungssicherheit zu verbessern.
Zugleich setzte der Biokraftstoff-Boom ein, die Hersteller konkurrierten nun um Lebensmittel wie Mais und Weizen – aber auch um Land. So will der malaysische Konzern Bionas in Afrika Jatropha-Plantagen anlegen, um schwerpunktmäßig den steigenden Biospritbedarf in Europa zu decken. Bionas stieg vor einigen Jahren ins Geschäft mit den ölhaltigen Samen des Jatropha-Buschs ein. Zwar macht nach wie vor Palmöl den Löwenanteil an Biokraftstoffen aus Malaysia und Indonesien aus, Jatropha ist jedoch auf dem Vormarsch. Für die Produktion wurden in beiden Ländern riesige Flächen tropischer Regenwälder gerodet. Diese Entwicklung dürfte nun auch Afrika bevorstehen.
Überdies entdeckten Spekulanten die Ländereien in Drittweltländern als lukrative Anlagemöglichkeit. Der Investoren-Guru George Soros etwa verlautbarte, dass sich Investitionen in Ackerland besonders lohnen. Entsprechend springen auch Fonds und Pensionskassen auf den Zug auf. Aus Deutschland nennen Entwicklungsorganisationen den Versicherungskonzern Allianz mit seiner Firmentochter Allianz Global Investors und die Fondsgesellschaft DWS der Deutschen Bank als Beteiligte.
Was Rentenbeiträge finanzieren
Mittlerweile regt sich gegen die Praxis des modernen Landraubs weltweiter Protest. Im Juni dieses Jahres etwa veranstaltete ein Bündnis aus 60 Umwelt- und Landwirtschaftsorganisationen beim Branchentreff der weltweiten Agrarinvestoren – dem „Agricultural Investment Summit“ – in London eine Demonstration gegen das Land Grabbing unter dem Motto „Wissen Sie, was ihre Rentenbeiträge finanzieren?“. „Afrika, Asien und Lateinamerika sehen eine beschleunigte Landnahme mit einer Rate, wie es sie seit Kolonialzeiten nicht mehr gab“, klagte Nyikaw Ochalla, ein Vertreter des äthiopischen Anuak-Volks. „Das Land ist lebenswichtig für Jäger, Sammler, Bauern, Hirten und Fischer und keineswegs eine Ödnis, die nur zur kommerziellen Landwirtschaft taugt.“
Wie sich das Problem „Landgrabbing“ lösen ließe
Die vom Landkauf durch Großinvestoren geschaffenen Probleme wurden mittlerweile auch von den Vereinten Nationen erkannt. Im vergangenen Mai beschloss der UN-Ausschuss für Welternährungssicherheit Richtlinien, um die lokale Bevölkerung zu schützen. Sie regeln, wie verantwortungsvoll mit Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern umgegangen werden soll. Ziel ist auch, die Landvergabe transparenter zu machen und die Mitspracherechte der lokalen Kleinbauern zu stärken. Sie besitzen oft nur traditionelle Landrechte, aber keine amtlichen Titel. Die Leitlinien sind allerdings nicht verpflichtend.
Nach Angaben der ILC begannen einige Länder mittlerweile, sich um die Belange ihrer Bauern zu kümmern. Madagaskar und Äthiopien etwa geben Zertifikate aus, die Landbesitz bestätigen. Zwar sind sie rechtlichen Besitztiteln nicht gleichgestellt, können aber dennoch den Landbesitz und vor allem die weitere Bebauung der Äcker sichern.
Kleinbauern können höhere Erträge erzielen als Monopolisten
Wie Buchautor Pearce weiß, überdenken inzwischen auch einige der Landräuber ihr Handeln. Die britische Firma Feronia etwa bepflanzte 2008 in der Demokratischen Republik Kongo nach dem Vorbild von US-Farmen 100 000 Hektar Land. Drei Jahre später erklärte Feronia-Gründer James Siggs beim Agriculture Investment Summit Europe, er glaube inzwischen, dass die industrielle Landwirtschaft die Menschen von ihrem Land vertreibt und entfremdet, kaum Jobs schafft und soziale Unruhen schürt. Selbst die Weltbank erklärte hinsichtlich der Nutzung der Guinea-Savanne, es sei nicht ersichtlich, dass das industrielle Landwirtschaftsmodell notwendig oder gar besser für Afrika sei.
Eine ähnliche Rechnung macht auch Wissenschaftsautor Pearce auf. er erinnert daran, dass die „grüne Revolution“ in Asien, die im 20. Jahrhundert die großen Hungersnöte auf dem Kontinent beendete, auf den Kleinbauern beruhte, die höhere Ernteerträge erzielen könnten als große kapitalintensive Farmen. Gelänge es Afrikas Kleinbauern ebenfalls, ihre Erträge von heute 1,5 auf fünf Tonnen pro Hektar zu steigern, würde dies den Kontinent transformieren. Die Voraussetzung dafür sei nicht die Investition in Land, sondern in Dünger. Malawi etwa sei auf diese Art vom Getreideimporteur zum Exporteur geworden.
Ein Beispiel aus Kenia zeigt, dass selbst Kleinbauern auf dem Weltmarkt mitmischen können. Im Hochland wirtschaften die Angehörigen des Akamba-Volks auf ihren Familienäckern, doch sie verkaufen ihre Milch in die Hauptstadt Nairobi, Avokados nach Frankreich und Mangos sowie Orangen in den Nahen Osten. Es komme also darauf an, resümiert Pearce, diese Strukturen zu stärken, ebenso die vielen Teilzeitbauern, die am Straßenrand, in städtischen Brachen und Industriehöfen, auf Hausdächern, Müllkippen und selbst dem Universitätscampus ein Zehntel der in den urbanen Zentren benötigten Lebensmittel liefern. Afrikanische Unternehmen, die für den afrikanischen Markt produzieren, das sei die Zukunft – und nicht eine Invasion fremder Investoren, die das Land nur für ihren Profit an sich reißen statt den Kontinent zu ernähren.